Willst du dich trennen?
Ja – Nein – Vielleicht – Wie mache ich das denn?
Von Naomi Vogel
„Ziel eines Konfliktes oder einer Auseinandersetzung soll nicht der Sieg,
sondern der Fortschritt sein.“
Joseph Joubert
In dem Buch, was du in den Händen hältst, schreiben viele tolle Menschen über ein sehr vielschichtiges Thema. Zur Liebe gehören nicht nur Beziehungen zwischen Mann und Frau oder eine Ehe, nicht nur das Kennenlernen oder der Sex. So viele Möglichkeiten, wie es gibt eine Beziehung zu leben und zusammenzubleiben, so viele Möglichkeiten gibt es auch in der Art sich zu trennen.
Beziehungs- und Trennungsarbeit ist genau das, was ich mit meinen Klienten mache und was mir eine unheimlich große Freude bereitet. Dabei betrachte ich das Thema Trennung nicht als negativ. Das Leben und die Beziehungen mit all ihren Erfahrungen sind wie sie sind. Ich bin nicht da, um zu urteilen, sondern den Beteiligten zu helfen ihre Beziehung zu klären.
Wer da mit welchen Themen zu mir kommt? Das kann ein Paar nach einer Affäre sein, die aber zusammenbleiben wollen, wie Lars und Marie oder Stefan und Ines, ein Paar, dass einfach ihre Beziehung verbessern möchte. Das Ex-Paar Nicole und Bernd, ist schon Jahre getrennt, aber immer wieder vor Gericht, weil sie sich um den Umgang mit ihrem Sohn streiten. Anett und Markus, kommen einzeln zu mir und überlegen, wie für sie eine Trennung genau aussehen könnte, wie sie durchführbar ist oder wie er, nach einer ausgesprochenen Trennung erstmal realisieren darf, was warum passiert ist und wie er jetzt damit umgeht.
All diese Klienten mit ihren Fragen und Sorgen wirst du in diesem Kapitel genauer kennenlernen, wie auch ich sie kennenlernen durfte.
Es geht also nicht immer nur direkt um eine Trennung, sondern auch häufig die Überlegung, „was passiert, wenn ich mich trenne…“ wie bei Anett oder Markus Frage „Wie geht es mir jetzt, wo sich mein Partner getrennt hat?“. Ob man sich trennen will oder soll, was dann zu erwarten ist, wie ich mit mir und meinen Gefühlen umgehe, wenn sich von mir getrennt wurde und wie eine Trennung umgesetzt werden kann – wie z.B. eine Elternbeziehung auch nach einer Trennung fortgeführt wird, wie bei Nicole und Bernd.
Oder es geht um die Fragen von Lars und Marie „Was ist passiert, wie sind wir hierhergekommen?“, „Können wir zusammenbleiben und wie machen wir das?“ und „Kann es zwischen uns wieder besser werden?“
Ich möchte dich auf eine Reise mitnehmen, die mich immer wieder fasziniert. Die Reise, Menschen in ihren Gefühlen und Reaktionen zu verstehen, anzunehmen und ihnen zu helfen sich gegenseitig (oder auch sich selbst) zu verstehen.
Denn dieser Moment, in dem sich jemand öffnet und vom anderen verstanden wird – und dies auch spürt – das ist
der wunderbarste Augenblick. Der Moment, an dem beide wirklich mitarbeiten und sich zuhören und ein Knotenplatzt. Damit wird Raum geschaffen, für beide, so zu sein wie sie sind. Das ist der Moment, für den ich meine Arbeit liebe – Verständnis zwischen Menschen herzustellen, so dass sie wirklich in Kontakt miteinander treten.
Bei diesem Verstehen geht es nicht darum, dass es in Ordnung ist, was der andere sagt oder tut oder man mit dem anderen (am besten immer) einer Meinung sein muss. Es geht vielmehr darum wirklich zuzuhören, dazu bereit zu sein und zu verstehen, was der andere sagt, was seine Gründe waren oder seine Sichtweise ist.
Es kann schon sein, dass dieses Verständnis etwas mit dem Gegenüber macht. Man reagiert. Erst in diesem Moment kann wirkliche Kommunikation stattfinden. Beide teilen einander mit wie es ihnen geht, haben Vertrauen. Manchmal in sich, manchmal in den anderen oder mich als Mediatorin und Begleiterin.
Dann sind wir von der Oberfläche weg und können wirklich reden. Über Gedanken und Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche. Das, worum es wirklich geht. Nicht der Wäschekorb oder das Runterbringen des Mülls. Unsere wirklichen Bedürfnisse schwimmen nicht an der Oberfläche – viel zu gefährlich wäre ihnen das. Da könnte man ja von jedem gesehen werden. Und was, wenn dieser Jemand meine Verletzlichkeiten und Wünsche gegen mich verwendet?
Besser, wir (Gefühle) schicken eine Art Türsteher vorweg. Jemand, der sich um die Neugierigen, die Passanten und die Angreifer kümmert und sie abwehrt. Der dafür sorgt, dass diese Personen keine privaten Details erkennen können.
Dieser Türsteher beschützt die Gefühle, die sich nicht so gern heraustrauen. Das kann Wut sein, welche Angst beschützt. Es kann aber auch Angst sein, die Trauer oder Wut beschützt. Das kommt ganz darauf an, welche Gefühle für uns die Funktion erfüllen und uns sozial akzeptierter erscheinen.
Hier gibt es jetzt viele wunderbare Kommunikationsmodelle, die man anführen könnte, die zeigen, was passiert oder worauf es ankommt. Dies ist Teil meiner Arbeit. Aber worauf es hinausläuft, ist, dass bei Konflikten eine Menge Gefühle beteiligt sind und sie niemals losgelöst von unseren Beziehungen mit anderen stattfinden. Wenn wir streiten, spielt die ganze Vorgeschichte mit rein. Selbst wenn der aktuelle Konflikt-Gegner nicht direkt an der Vorgeschichte beteiligt war.
Wir trennen uns nicht, weil der Partner uns einmal nicht zugehört oder uns versetzt hat. Wir trennen uns, weil das öfter passiert ist, dass etwas mit uns macht (Gefühle auslöst), wir Gespräche geführt haben, weil etwas in und nach den Gesprächen passiert ist und die Geschichte fortgesetzt wurde. Und irgendwann sind wir an dem Punkt, an dem wir mal an Trennung denken. Aber auch hier tun wir es meist nicht. Weil, sind wir mal ehrlich, in den meisten wichtigen Beziehungen stecken Jahre an Engagement, Gefühlen füreinander, weitere verstrickte Beziehungen zu Kindern und Familienmitgliedern und andere „Schuldigkeiten“. Das gibt man nicht in fünf Minuten auf.
Also reden wir, suchen den Fehler bei uns und bei anderen und suchen Kompromisse, Alternativen, machen Fehler, verbiegen uns und kommen wieder bei uns an. Manchmal auf beiden Seiten, manchmal nur auf einer. Aber selbst dann bereuen wir es fast nie, weil es uns wichtig war und wir alles versucht und getan haben, was wir konnten.
"Konflikte entstehen meist nicht aus einem Mangel an Gefühl,
sondern aus mangelndem Verständnis."
Justus Vogt
Jeder Mensch führt Beziehungen und hat schon Trennungen erlebt, von Liebespartnern, Freunden, Familie, Arbeitskollegen. Über manche ist man froh, über andere nicht. Manche passieren mit einem Knall, andere schleichen sich langsam aus.
Auch ich habe Beziehungen und Trennungen erlebt, ich wurde verlassen und ich habe verlassen, sowohl von Liebesbeziehungen als auch von Freunden. Ich habe erlebt, wie eine große Liebe tatsächlich irgendwann am Ende war – und selbst wenn auch viel Schmerz damit verbunden war, würde ich es doch immer wieder so machen. Es war ein wundervolles Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Es war mein Beweis, dass ich lieben kann - und wie ich konnte. Und es hat mir beigebracht, wie ich mit Menschen umgehen möchte. Alle Beziehungen geben und lehren uns etwas .
Die nächste Beziehung verlief anders. Lange Zeit friedlich. Aber das Leben passiert immer. Hier kam es unauffällig angeschlichen und ist dann so explodiert, dass es gleich mehrere Beziehungen gesprengt hat. Quasi Konflikt 3.0 auf so vielen Ebenen – das führte in vielerlei Hinsicht zum absoluten Overload. Der Mensch kann halt nur eine gewisse Menge auf einmal handhaben.
Damit möchte ich sagen, wir alle erleben Konflikte und lernen daran. Ich habe viel gelernt. Manchmal auf die harte Tour. Meine Faszination gegenüber Beziehungen hat dies jedoch nur gestärkt und vertieft. Ich möchte immer weiter verstehen, warum Menschen so handeln und fühlen wie sie es tun, weil ich es spannend finde, zu sehen, was alles möglich ist. Und ich liebe es, andere in diesen Situationen zu begleiten.
Manchmal werde ich gefragt, ob ich mich denn mit meinem Mann auch mal streite. Ja auf jeden Fall. Wir sind Menschen, die hier auf einen anderen Menschen treffen und die das ab und zu an Grenzen bringt.
Aber weißt du was? Bisher hat uns jedes Tief im Nachhinein eine Stufe höher befördert. Und das motiviert mich immer wieder Grenzen zu verschieben. Die Frage, die ich mir manchmal stellen muss, ist, was ist mir wichtiger- eine (fiktive) Grenze zu halten und mich von dem Menschen, der sie zum Wackeln bringt zu trennen oder mich von der Grenze zu trennen und auf etwas Neues einzulassen?
Ich will nicht lügen, beides ist hart. Und es gibt hier kein richtig oder falsch. Allein die Entscheidung zu treffen ist schwer.
Manchmal erscheint es uns leichter, uns von einem Menschen zu trennen, als von einer Grenze, weil wir meinen wir selbst zu bleiben. Ändere ich meine Meinung zu einer selbst aufgestellten Grenze, fordert mich das gleichzeitig dazu heraus gewisse Überzeugungen in Frage zu stellen. Das löst Unsicherheit aus, weil ich mich nicht mehr festhalten kann. Und unsicher wollen wir uns nicht fühlen. Aber es kann sich lohnen.
Natürlich treffen wir doch manchmal falsche Entscheidungen, machen Fehler. Allerdings stellt sich mir die Frage, was bedeutet „falsch“? Haben wir uns oder dem anderen nicht einfach eine Chance gegeben und trotzdem (oder gerade deswegen) etwas gelernt? Solange wir das bejahen können, hat es uns weitergebracht.
Es gibt die allgemeine Vorstellung, dass es am Anfang einer Beziehung immer am besten ist, so frisch verliebt. Und sich viele Paare wünschen, dass es wieder wäre, wie am Anfang.
Ich sehe das, für mich und in meiner Beziehung zu meinem Mann, anders. Ich bin froh, dass wir sind, wo wir sind. Ich möchte im Leben nicht zurück. Warum? Weil wir immer besser geworden sind, mit den Jahren und den Krisen. Warum sollte ich das aufgeben?
Auch, wenn mich manche Beziehungs-Lern-Krisen, die das Leben für mich bereitgehalten hat, durchaus dazu gebracht haben, mich zumindest gedanklich, mit dem Thema Trennung auseinanderzusetzen.
Bei dieser Einstellung hat mich, seit ich mich erinnern kann, ein passendes Beispiel von der Beziehungsberaterin und Autorin Eva Maria Zurhorst begleitet (aus ihrem Buch „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“). Sie beschreibt eine Szene auf dem Tennisplatz. Wenn man auf einem Tennisplatz gegen einen Gegner spielt und den Ball immer wieder ins Netz schlägt, dann könne man noch so oft den Gegner und den Platz wechseln. Solange man nicht selbst mal einen Schritt vor oder zurück macht, wird man den Ball immer wieder ins Netz schlagen.
Dieses Beispiel finde ich sehr eindrücklich. Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Ich habe einen Eigenanteil an dem was passiert. Es spielt auch keine Rolle, ob ich nach der Krise in der Beziehung bleibe oder mich trenne, ich darf das Problem bearbeiten, mir Zeit nehmen und daraus lernen. Andernfalls nehme ich es weiter mit.
„Wie alle führen verschiedene Beziehungen in unserem Leben – manchmal
mit ein und derselben Person.“
(unbekannt).
Es gibt unterschiedlichste Trennungsszenarien und nur wenige sind wirklich einfach. Markus kommt zu mir, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hat. Er ist völlig überfahren, die Trennung kam für ihn ohne Vorbereitung. Er ist erschrocken und traurig, und er hat Angst, weil er nicht weiß, wie es nun weitergehen soll.
Markus ist hier ein gutes Beispiel, da Männer häufig nach einer Trennung zu mir kommen. Überrannt von Gefühlen, zu viele, um damit noch vernünftig zurechtzukommen. Er erzählt mir, dass die Beziehung prima war, vielleicht hier und da etwas eingeschlafen, aber grundsätzlich gut. Er liebt seine Frau und seine Töchter und habe immer alles für sie getan. Er verstehe nicht, was passiert ist.
Über die folgenden Monate erarbeiten wir Stück für Stück, wie die Beziehung aussah, was in der Beziehung passiert ist und wie es zu diesem Punkt gekommen ist - dass doch nicht alles völlig ohne Vorwarnung kam. Menschen haben unterschiedlichste Vorstellungen von Beziehungen und davon, wie sie Liebe zeigen und selbst spüren. Markus hat seine Liebe und Fürsorge gezeigt, in dem er Geld verdient und ein Haus gebaut hat. Dies habe er für seine Familie getan. Seine Frau jedoch hat sich gemeinsame Zeit gewünscht. Dies ist tatsächlich ein häufiger Konfliktpunkt zwischen Paaren: Zeit und Aufmerksamkeit vs. Geld/Sicherheit/Haus.
Markus berichtet mehr und mehr von Gesprächen, in denen seine Frau versucht hat, sich ihm zu erklären. Er habe es häufig nicht ernst genommen, es sei doch alles in Ordnung. Wie das bei seiner Frau angekommen ist, versteht er nun langsam.
Manchmal sind solche Beratungsgespräche ganz konkret: ein Problem wird gelöst, eine Frage beantwortet, Aufgaben für zuhause besprochen, ein Gespräch geplant und geübt. Es geht darum mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Zu klären, wie die Trennung aussehen soll, den Umgang mit den Kindern zu organisieren, dafür Sorge zu tragen, dass es einem selbst gut geht.
In der Arbeit mit Markus ging es darum, zu verstehen, was passiert ist. Zum einen zur Aufarbeitung, zur anderen, um die gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Er durfte lernen mit seinen Töchtern zu sprechen, auch über die Trennung. Früher hat sich seine Frau überwiegend um die Kinder gekümmert, nun war er in seinen Umgangszeiten allein mit ihnen.
Es blieb bei der Trennung. Auch habe ich seine Frau nie kennengelernt. Das heißt, für eine Beziehungs- oder Trennungsberatung braucht es nicht immer beide Partner (auch wenn das natürlich hilfreich sein kann). Aber er selbst hat sich weiterentwickelt und seinen Platz gefunden. Ab und zu höre ich noch von ihm und freue mich über seine Fortschritte
Viele Menschen verbinden mit Trennungen etwas Negatives. Sie bergen jedoch immer auch die Chance auf einen Neuanfang. Damit meine ich nicht immer eine neue Beziehung mit jemand anderem, manchmal ist es auch eine neue Erkenntnis oder eine neue Beziehung mit sich selbst.
Anett kam ebenfalls allein zu mir. Sie befand sich in langjähriger Beziehung, wollte diese aber beenden. Sie hatte Angst vor der Trennung, vor dem Gespräch. Ihr Partner habe cholerische Züge und sie hätte Sorge um seine Reaktion auf die Trennung. Dazu kam ihre Angst, ihre Tochter allein zum Vater zum Umgang geben zu müssen, da diese schon länger vermieden habe mit ihm allein zu sein. Solche Ängste erschweren Trennungen. Aber nicht mehr glücklich zu sein, wiegt über die Jahre immer schwerer.
Anett trug sich bereits seit Jahren mit diesen Gedanken herum. Die Beziehung war seit etwa vier Jahren nicht mehr das, was sie sich unter einer Beziehung vorstelle. Es gab keinerlei körperliche Nähe, sie wolle dies auch nicht. Könne selbst Umarmungen kaum ertragen. Geschlafen habe sie bei ihrer Tochter. Es gab keine Gespräche außer Streit um Kleinigkeiten und wenig Verständnis. Es gab kaum gemeinsame Zeiten, da sich beide durch Schichtarbeit au dem Weg gingen. Gemeinsame Unternehmungen gab es nur selten, die müsste aber nur sie initiieren. Sie hat jedoch festgestellt, dass sie ihre Freizeit gar nicht mit ihrem Partner verbringen möchte.
Anett hatte ihre Entscheidung schon getroffen, konnte sie jedoch lange nicht umsetzen. Sie wollte sich trennen. Wir haben erarbeitet, was nun zu tun ist, Schritt für Schritt. Wie und wann sie mit ihrem Partner spricht, was vorher erledigt wird und wie es dann weitergeht.
Wie bei Anett geht es bei vielen Paaren und dem Thema Trennung nicht immer nur um dramatische Krisen, eine Art Rosenkrieg. Es geht häufiger darum eine Entscheidung zu treffen. Sich selbst klarzuwerden, was bin ich (mein Eigenanteil und meine Bedürfnisse) und wohin soll es gehen?
Manche Trennungen sind nur schmerzhaft, andere sind gut und hilfreich. Eines ist aber sicher: auch der sich Trennende trifft diese Entscheidung nicht leichtfertig und mal eben so zwischen Tanke und Supermarkt. Mit diesen Gedanken und Gefühlen trägt man sich meist sehr lange herum, versucht zu reden und zu retten. Wartet vielleicht auch, bis etwas passiert oder jemand auftaucht, der es einem manchmal leichter macht, den (nötigen) Schritt zu gehen.
Was ich damit sagen will: Eine Trennung kommt meist nicht so plötzlich, wie es dem anderen Partner oft erstmal erscheint.
Hier findet ein Teil meiner Arbeit statt. Herauszufinden, was man will. Eine Trennung oder nicht. Und wie setze ich die getroffene Entscheidung um.
„Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, taugen beide nichts.“
(Konrad Adenauer)
Warum trennen wir uns? Das mag wie eine seltsame Frage erscheinen, da sich viele denken, dafür gäbe es doch immer ganz klare Gründe. Meinem Empfinden nach ist es aber häufig nicht so. Oberflächlich gesehen, ja, vielleicht. Wir haben Gründe. Und oft haben diese auch einen wahren Kern. Oft verbergen sie aber etwas anderes. Und es sind nicht immer die, die wir dem anderen auch nennen.
Wir fliehen, weil wir etwas nicht mehr aushalten, uns nicht damit auseinandersetzen können oder wollen. Oder wir nutzen eine Situation als Trittbrett zur Trennung, weil wir, ehrlich gesagt, schon eine Weile mit dem Gedanken spielen und nun den Absprung schaffen (hier kann auch häufig ein neuer Partner ein Trittbrett sein). Oder wir haben eben keinen klaren Grund und schieben die Entscheidung jahrelang vor uns her wie Anett.
Konflikte sind häufig ein Anstoß für Neues. Mich faszinieren sie. Auch wenn ich bei meinen eigenen Konflikten nicht immer sofort genauso begeistert bin. Viele Assoziationen hier negative Begriffe, z.B. Streit, Schreien, Aggression, Tränen, Macht, das Ende von Beziehungen u.v.m. Dabei geht es nicht immer ums Streiten. Konflikte sind so viel mehr. Wir befinden uns immer wieder mit uns selbst im Konflikt. Wenn wir Entscheidungen treffen müssen, etwas zu tun oder nicht, etwas zu sagen oder es für uns zu behalten. Konflikte bedeuten eine Auseinandersetzung mit jemand anderem, dessen Sichtweise und Gefühlslage und eine Chance auf Veränderung, Besserung. Sie bieten die Möglichkeit für mich selbst einzustehen, auf andere Rücksicht zu nehmen oder Konsens zu finden.
Warum bleiben wir in Krisen zusammen?
Lars und Marie kommen nach einem Seitensprung zu mir. Sie wollen sich nicht trennen.
Sie sind seit 12 Jahren zusammen und haben 2 Kinder. Die Liebe und Zuneigung zwischen ihnen ist förmlich greifbar. Diese beiden haben eine wunderbare Art miteinander zu reden, etwas, was mich über die Monate immer wieder fasziniert. Und dennoch kommen sie zu mir, weil sie die Beratung nutzen, um sich Zeit für sich und die Beziehung zu nehmen. Er hat einen Seitensprung mit einer guten gemeinsamen Freundin gestanden, sie möchte damit zurechtkommen, wünscht sich aber Hilfe. Nach mehreren Monaten und Verbesserungen liegt ein erweitertes Geständnis auf dem Tisch. Die andere Beziehung war nicht einmalig, sondern ging über etwa ein Jahr. Die Gefühle kommen in Wellen, die Gespräche verändern sich immer wieder.
Marie ist erschüttert. Nicht nur von der Affäre, mehr von den Lügen. Davon, dass sie es geahnt hat, er es aber leichter fand, sie als paranoid darzustellen, als zu seinem Verhalten zu stehen. In unseren Gesprächen wird deutlich, dass es nicht immer nur um Probleme in der gemeinsamen Beziehung geht. Wir bringen so viel Eigenes mit in unsere Beziehungen. Unsere Kindheit, unsere Eltern, Charakterzüge, Rollen – und all dies trifft auf den anderen, der genauso mit seinem Päckchen dasteht.
Und obendrauf kommt dann unser gemeinsames Leben.
„Wenn in einer Ehe kein Raum für Fehler wäre,
dann hielte keine Ehe länger als eine Woche an“
(Fifty Shades of Grey - 3)
Wenn etwas passiert, wie in diesem Fall bei Marie und Lars, wenn zusätzlich noch eine Freundschaft betroffen ist, dürfen wir uns darüber klar werden, dass hier nicht eine Beziehung auf dem Spiel steht, sondern zwei. Zwei Menschen zu verlieren kann unser Lebensbild enorm bedrohen.
Ich selbst merke, ich freue mich sehr auf die gemeinsamen Treffen. Die beiden geben mir ebenfalls ganz viel. Es ist beeindruckend zu sehen, was möglich ist, wenn man sich gegenseitig liebevolles Verständnis sowie Raum und Zeit entgegenbringt.
Bernd und Nicole hatten dieses Glück nicht. Hier herrschten Vorwürfe und eisige Höflichkeit mit einer Prise Manipulation – gute Gründe für bereits vier Jahren vor Gericht.
Gesellschaftlich verbreitet ist die Sichtweise des Mannes, der fremdgeht und dem Vater, der sich nicht kümmert. Ein Arsch zu sein ist jedoch nicht geschlechtsabhängig. Und die Gefahr, für den persönlichen Streit das Kind zu benutzen, sehr hoch. In diesem Fall lag die rote Karte bei Nicole. Sie zog am Kind, um den Partner zu verletzen oder zu bestrafen. Persönlich beleidigende Emails gingen nicht nur an ihn, Freunde und Familie wurden stets ins cc gesetzt. Ein schöner Fall dafür, wie es nicht ablaufen sollte. Ein Fall der mich mehrfach auch an persönliche Grenzen gestoßen hat.
Beide wollten partout nicht zusammen sein, konnten aber auch nicht voneinander lassen. Es ist erstaunlich wie viel Zeit und Energie in die Konfliktsituation gepumpt werden kann, diese sogar noch verschärft wird. In solchen Fällen wird offensichtlich, dass keine wirkliche Trennung passiert ist. Das Schlachtfeld hat sich lediglich verlagert. Das Zitat „in der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“ (Napoléon Bonaparte) wurde hier verinnerlicht.
Eine Beratung beruht auf freiwilliger Basis. Kein Berater oder Therapeut kann jemanden zur Mitarbeit zwingen, zumindest nicht nachhaltig. Bei Bernd und Nicole habe ich das erste und bisher einzige Mal eine Beratung von meiner Seite aus abgebrochen. Wir haben uns in acht Monaten nicht einen Schritt vorwärtsbewegt.2
Stefan und Ines sind dahingegen Kontrastprogramm. Beide sind um die 60 Jahre alt und seit 10 Jahren zusammen. Sie lieben sich, genießen ihr gemeinsames Leben, unternehmen viel zusammen. Ines fühlt sich jedoch oft nicht verstanden und wertgeschätzt. Deswegen kommen sie zu mir.
Kommunikativ gesehen sind beide grundverschieden. Stefan ist es gewohnt, seine Probleme mit sich selbst auszumachen – auch aus beruflicher Rolle in leitender Position - und stößt damit Ines manchmal vor den Kopf bzw. sie fühlt sich ausgeschlossen. Es fällt ihm schwer Gefühle und innere Zustände zu benennen und anzusprechen. Er hat eine eher lockere Art mit Herausforderungen umzugehen, was in Ines den Eindruck erweckt, er nehme ihre Ängste und Sorgen nicht ernst oder bemerke sie nicht einmal. Ihr ist eine emotionale Verbundenheit wichtig, sie möchte gesehen werden und spüren, dass sie ihm etwas bedeutet.
Stefan fühlt sich bei ihr sehr wohl und aufgehoben; sie ist sein Zuhause. Jedoch kämpft er hin und wieder mit dem Gefühl, dass nichts, was er für sie tut, gut genug ist.
Beide sind offen mit mir und sehr warmherzig. Ich fühle mich geehrt, mit ihnen arbeiten und sie kennenlernen zu dürfen, da auch sie mir diese Chance geben sie zu begleiten. Unabhängig des Altersunterschiedes - ich könnte knapp ihre Tochter sein - 3haben wir eine wunderbare Zusammenarbeit entwickelt, in unseren Stunden miteinander und die beiden auch mit ihren Aufgaben, die sie zuhause durchführen. Dieses Paar berührt mich immer wieder, sie haben eine Kraft und Ausstrahlung, die bemerkenswert sind und ein schönes Beispiel dafür darstellen, dass Beziehungen dafür nicht perfekt sein müssen.
Eine Beziehung nach der Beziehung.
„Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die
Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude.“
(Dietrich Bonhoeffer)
Sind Kinder im Spiel, ist eine Trennung meist nicht das, was wir uns vorgestellt haben, als wir uns trennten. So geht es Annegret. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, der sie in der Beziehung klein gehalten hat, verbal sehr abschätziges Verhalten an den Tag legte. Seit der Trennung jedoch ist nicht viel Besserung eingetreten. Im Kontakt für die Kinder ist er weiterhin sehr abfällig, redet schlecht über sie vor den Kindern und sie kann den Kontakt nicht abbrechen. Hier geht es nicht darum, die Kommunikation oder Beziehung zwischen beiden zu verbessern, da er bisher nicht bereit war mitzukommen. In solchen Fällen arbeite ich einzeln mit den Betroffenen. Annegret genießt die Stunde bei mir, um einfach mal Dampf abzulassen, jemanden zu haben, der ihr zuhört und ihr Ratschläge für ihre verfahrene Situation geben kann. Diese Art der Beratung nennt sich Konflikt-Coaching. Wie kann Annegret lernen mit dem Konflikt umzugehen, wenn keine Einsicht oder Mitarbeit beim anderen besteht?
Wenn Kinder im Spiel sind und beide Eltern ihre Rolle auch aktiv wahrnehmen, findet häufig keine wirkliche Trennung statt, die Beziehung verändert sich lediglich. Annegret und ihr Mann sind nicht mehr in einer Liebesbeziehung, aber sie haben noch eine Beziehung als Eltern und Ex-Partner. Auch Nicole und Bernd führen nach wie vor eine Beziehung. Sie halten an etwas fest, was Energie kostet und ihnen wohl auch etwas geben muss, damit sie weiterhin daran festhalten.
Sven und Natalie hingegen haben diesen Beziehungswechsel erstaunlich einfach gemeistert. Beide kamen zu mir, bereits getrennt und hatten ihren Plan schon ausgearbeitet, wie es jetzt laufen sollte. Das Ende der Liebesbeziehung wurde von beiden getragen, sie brachten eine große freundschaftliche Basis mit. Auch wenn in den folgenden Monaten nicht alles so glatt lief wie geplant, haben sie sich in die neuen Rollen eingefunden und einen neuen Kontakt aufgebaut. Eine Beratung gemeinsam zu besuchen, bedeutet nicht zwangsläufig, die Beziehung wieder zu kitten. Die kann auch genutzt werden, um die Trennung zu organisieren und anständig über die Bühne zu kriegen.
Jetzt kommt natürlich nicht jedes Paar nach ihrer Trennung in eine Beratung. Auch wenn eine Trennung fast immer eine Herausforderung darstellt, schaffen sehr viele Paare den Übergang ohne Hilfe, viele davon sicher auch auf gute Art und Weise. Eine langwierige Beratung ist nicht immer nötig. In meiner Erfahrung kann es jedoch nicht schaden, für schwierige Gespräche eine neutrale dritte Person mit hinzuzuziehen, um Rat zu bitten, wenn man sich nicht sicher ist oder sich einfach gegenseitig ein paar gemeinsame Stunden zu schenken, um die Beziehung abzuschließen. Nach Jahren der gemeinsamen Beziehung ist es schön zu sehen, wie viele sich diesen gegenseitigen Respekt erweisen können.
„Ja, ich liebe dich immer noch. Ja, du bedeutest mir noch etwas.
Ja, ich denke noch an dich. Aber nein, ich möchte dich nicht zurück.“
(unbekannt)
Beziehungen laufen nicht ab wie im Film oder Roman bzw. sind letztere einfach nicht vollständig. In Geschichten werden uns Beziehungen gezeigt, die zu unserem Wunschbild werden, unserem Ziel, was es zu erreichen gilt. Diese Momente gibt es. Es gibt aber eben auch gewisse „Leerstellen“ und schlechte Tage, die im Film und sozialen Medien gern übersprungen werden. Das ist, wie wenn man sein Fotoalbum durchblättert und sich an all die schönen Momente erinnert – es ist wunderbar, aber eben nicht alles. Nach durchweinten Nächten oder Kindern mit Windpocken oder Mittelohrentzündung und wenig Schlaf machen wir nur keine Bilder. Zumindest werden sie nicht geposted.
Und selbst wenn wir nach außen hin für unser Leben und unsere Beziehungen beneidet werden, es in den Augen der anderen oder der Gesellschaft geschafft haben, gibt es Zeiten, in denen wir nicht glücklich sind. In denen wir uns einsam fühlen. Müsste uns der andere nicht glücklich machen, wenn wir zusammengehören - am besten rund um die Uhr?
Das kann kein Partner auf Dauer gewährleisten. Dafür sind wir auch immer selbst zuständig.
Wir können uns allein fühlen, traurig sein oder wütend in einer Beziehung, genau wie wir allein glücklich sein können. Das ist unser Recht.
Es mag Beziehungen geben, in denen nie etwas schlimmes passiert, ich halte es aber für unwahrscheinlich. Wir sind immer mindestens zwei Menschen, die hier aufeinandertreffen und sich über die Jahre verändern. Harmonie ist wünschenswert, aber nicht um jeden Preis.
Wir lieben unsere guten Beziehungen, weil sie uns festhalten, wir geliebt und akzeptiert werden, so wie wir sind. Weil wir unser Leben mit jemandem teilen wollen, der es bezeugt, der ihm Bedeutung beimisst.
Beziehungen laufen nicht ab wie im Film oder Roman – manchmal sind sie sogar besser. Weil sie echt sind.
Liebe, so oft und so viel du kannst. Weine, streite, trete für dich selbst ein, unterstütze andere, verzeihe, genieße. Trenne dich, wenn nötig. Sei du selbst. Lebe.
Es ist es wert.
„Nimmt man die Chance aus der Krise – wird sie zur Gefahr.
Nimmt man die Angst aus der Krise – wird sie zur Chance“
(Volksweisheit)
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